Der Patient schweigt, drei flüstern, einer dokumentiert: Willkommen bei der Visite

Wenn Reden zum Ritual wird – und keiner sich verstanden fühlt

Beitrag von Franziska Gremm - Project Manager und Luise Repges - Consultant (09.09.2025)

8:07 Uhr. Die Visite beginnt. Fünf Menschen stehen am Bett, sprechen leise, notieren etwas, nicken sich zu – und ziehen weiter. Was gesagt wurde, ist unklar. Was entschieden wurde, auch. Es ist nicht böser Wille, sondern Routine. Eine eingespielte Szene, die täglich neu dargeboten wird – aber selten neu gedacht. Reden ist Pflicht, Zuhören ist optional. Kommunikation wird zur rituellen Handlung: wiederholbar, erwartbar – aber selten wirksam.

Die Visite ist oft die einzige Gelegenheit des Tages, bei der mehrere Berufsgruppen gemeinsam am Patientenbett stehen. Eigentlich eine Riesenchance. Und trotzdem fühlt es sich zu oft wie ein schlecht einstudiertes Improvisationstheater an. Warum das so ist – und wie man es besser macht – darum geht es hier.

Mehr als ein Pflichttermin: Was Visite eigentlich sein sollte

Visite klingt harmlos. Als wäre sie ein kurzer Spaziergang durchs Haus, begleitet von ein paar Nachfragen. In Wirklichkeit ist sie der zentrale Ort für Kommunikation, Planung und Entscheidungsfindung. Eine richtig gute Visite bringt das Team in Bewegung – inhaltlich, menschlich und organisatorisch.

Doch dafür braucht sie eines: Struktur. Nicht im Sinne von Checklisten, die ungelesen in der Schublade verschwinden, vielmehr als eine Art Rahmen, der Orientierung bietet und echtes Zusammenspiel ermöglicht. Der verlässliche Rahmen, in dem alle Berufsgruppen ihren Beitrag leisten können, ohne sich gegenseitig zu überrollen oder zu übersehen.

Was schiefläuft, wenn’s läuft wie immer

Es gibt diese Visiten, bei denen niemand so richtig weiß, was er oder sie eigentlich hier soll. Die Pflegekraft wurde nicht eingebunden, die Ärztin hat keine aktuellen Labore gesehen, die Entlassung ist ein Gerücht und der Patient erfährt eher durch Zufall, dass er morgen gehen soll. Dabei wollte er doch eigentlich noch mal zur Physiotherapie.

Oft liegt das nicht an fehlendem Engagement, sondern an unklaren Abläufen. Wer bereitet was vor? Wer spricht wann? Wer entscheidet? Wenn diese Fragen offen bleiben, übernimmt der Zufall die Regie – und der hat im Klinikalltag selten ein gutes Timing.

Wie es besser geht – ohne die Welt neu zu erfinden

Eine gelungene Visite beginnt nicht am Bett, sondern davor. Fünf Minuten Abstimmung, klare Rollen, ein kurzer Blick auf das, was heute wichtig ist. Die Pflegefachkraft kennt die kleinen, aber entscheidenden Veränderungen der Patienten: Hat er gegessen? Welche Veränderungen sind zu beobachten? Was sagt die Wunde? Ärztinnen und Ärzte bringen medizinische Planung ein, stellen Weichen für Diagnostik und Entlassung. Und der Patient? Wird eingebunden! Nicht überfahren.

Im Zimmer selbst soll auch gesprochen werden – aber bitte so, dass alle mithören und -denken können. 

Visite ist Teamleistung, kein Soloprogramm

Wenn alle wissen, worauf es ankommt, wird Visite zur Ressource. Sie klärt Zuständigkeiten, gibt Struktur für den Tag, zeigt: Wir arbeiten zusammen – nicht nebeneinander her. Das Ergebnis? Weniger Missverständnisse, mehr Planbarkeit, ein gutes Gefühl bei Patienten und im Team.

Und nein – das heißt nicht, dass alles perfekt laufen muss. Aber wer mit einem klaren Ziel in die Visite geht, kommt auch mit Ergebnissen wieder raus.

Fazit: Ritual ist gut. Wirkung ist besser.

Visite ist keine Pflichtveranstaltung. Sie ist ein Werkzeug. Und wie jedes Werkzeug kann man es gut oder schlecht einsetzen. Die schlechte Nachricht: Improvisation ist keine Strategie. Die gute: Man kann Visiten strukturieren – ohne sie zu entmenschlichen.

Wenn Kommunikation zur Zusammenarbeit wird, entsteht Raum für Qualität. Für Entscheidungen, die tragen. Für Menschen, die sich gesehen fühlen.

Diskutieren Sie mit! Wie erleben Sie Visiten in Ihrer Einrichtung? Welche Modelle funktionieren? Wo klemmt’s noch? Schreiben Sie uns und diskutieren Sie mit uns auf LinkedIn.

 

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