Was Krankenhäuser von der Automobilindustrie lernen können (Teil 1): Taktung und Qualität durch transparente Prozesse und messbare Abläufe

Beitrag von Luise Repges - Consultant (25.11.2025)

In der Automobilindustrie ist Effizienz kein Zufall: Jeder Handgriff ist getaktet, jeder Prozess klar definiert. Die Produktion folgt einer präzisen Logik – mit dem Ziel: höchste Qualität bei minimalem Risiko. Was hat das mit Krankenhäusern zu tun? Sehr viel und doch bleibt der Patient als Mensch ein entscheidender Unterschied.

Struktur schafft Sicherheit – auf der Straße wie auf Station

In modernen Automobilwerken sorgen digital gestützte Abläufe für Qualität und Sicherheit. Fehler werden früh erkannt, Prozesse kontinuierlich verbessert, Mitarbeitende gezielt geschult. Das Ergebnis: planbare, verlässliche Arbeitsbedingungen.

Im Krankenhausalltag dagegen dominieren oft spontane Anforderungen, unklare Zuständigkeiten und fehlende digitale Unterstützung. Das belastet das Personal – und kann die Versorgung gefährden.

Sie kennen es doch auch: Auf einer Normalstation mit 28 Betten beginnt der Frühdienst für Pflegekräfte um 6 Uhr. Ohne klare Struktur zieht sich die Übergabe über 30 Minuten oder länger – je nach Team, Krankheitslage und Dokumentationsstand. Währenddessen warten PatientInnen auf ihre Morgenmedikation, erste Blutabnahmen oder Lagerungen. Pflegekräfte starten hektisch in den Tag, Prioritäten sind unklar, Aufgaben doppeln sich oder bleiben liegen.

Mit einer klar getakteten Struktur – z. B. einer standardisierten 15-Minuten-Übergabe mit digitalen Kurzübersichten, fester Aufgabenverteilung und definierten Zeitfenstern für erste Maßnahmen – läuft der Tagesbeginn deutlich ruhiger ab. Das Team weiß, was zu tun ist. Risiken sinken, und die Versorgung beginnt nicht im Chaos, sondern mit System.

Einen wesentlichen Unterschied zur Industrie gibt es aber: Gerade weil Patienten und Angehörige durch ihr Verhalten, ihre individuellen Bedürfnisse oder ihre Erkrankung eine große Varianz in den Prozessen erzeugen, müssen Mitarbeitende im Krankenhaus unnötige Abweichungen in den Prozessen vermeiden – der Patient darf während der Übergabezeiten klingeln und unterbrechen, die Übergabe muss durch vorherige Abstimmung oder Staffelung aber nicht zwingend unterbrochen werden. 

Ohne Taktung keine Qualität – durch Klarheit, Koordination und Verlässlichkeit

Taktung bedeutet: klar definierte Abläufe für alle Berufsgruppen, eindeutige Zuständigkeiten und feste Zeitfenster, die eine reibungslose Zusammenarbeit ermöglichen. Es geht nicht um starre Regeln, sondern um Strukturen, die Orientierung geben – gerade im komplexen Alltag einer Krankenhausstation.

Solche Taktungen schaffen nicht nur Effizienz – sie sichern Qualität, vermeiden Doppelarbeiten, reduzieren Fehler und entlasten alle Beteiligten.

Ein Beispiel aus dem perfekten Alltag: Der morgendliche interprofessionelle Check-in

Auf einer internistischen Normalstation treffen sich Pflegekräfte und ÄrztInnen jeden Morgen um 08:00 Uhr zu einem kurzen, strukturierten „Check-in“

  • Dauer: 10 Minuten.
  • Ziel: gegenseitige Abstimmung, Klarheit über den Tag

Ablauf:

  • Pflegekräfte geben ein kurzes Feedback über den Zustand der aktuellen PatientInnen (z. B. relevante Veränderungen während der Nacht, dringliche Anliegen).
  • ÄrztInnen benennen die geplanten Maßnahmen des Tages: anstehende Aufnahmen, geplante Entlassungen, geplante Untersuchungen.
  • Beide Seiten klären offene Fragen: Welche PatientInnen brauchen prioritäre Diagnostik? Gibt es Engpässe oder Absprachen mit der Physiotherapie oder dem Sozialdienst?

Ergebnis:

  • Alle Berufsgruppen starten mit einem gemeinsamen Lagebild in den Tag.
  • ÄrztInnen kennen die pflegerischen Besonderheiten und können Therapieentscheidungen gezielter treffen.
  • Unnötige Rückfragen entfallen, und das Team handelt vorausschauend statt reaktiv.

Warum das Qualität bringt: Ein solcher Taktpunkt vermeidet Informationsverluste, fördert die Zusammenarbeit und reduziert zeitkritische Engpässe im weiteren Tagesverlauf. Gleichzeitig schafft er Verlässlichkeit für PatientInnen, weil Abläufe planbar werden – und steigert die Zufriedenheit im Team.

Qualität ist messbar – und Messbarkeit macht Prozesse steuerbar

In der Industrie ist es selbstverständlich: Qualität entsteht nicht zufällig, sondern durch kontinuierliche Kontrolle und gezielte Steuerung. Dafür braucht es Daten. Produktionszeiten, Fehlerquoten, Ressourceneinsatz – alles wird gemessen, analysiert und optimiert. Nicht, um Menschen zu kontrollieren, sondern um Prozesse besser zu machen.

Im Krankenhaus fehlt diese systematische Messbarkeit oft noch im Alltag der Stationen. Zwar gibt es übergeordnete Qualitätsberichte – aber diese sind meist retrospektiv, abstrakt und wenig anschlussfähig für das tägliche Arbeiten im Team.

Dabei gilt auch hier: Nur was sichtbar ist, kann verbessert werden. Wer weiß, wo Engpässe, Unterbrechungen oder Verzögerungen auftreten, kann gezielt gegensteuern – und damit Versorgungsqualität, Patienten- und Arbeitssicherheit und Arbeitszufriedenheit verbessern.

Der Effekt: Prozesse werden stabiler, Abläufe vorhersehbarer, Versorgungsfehler seltener. Das ist kein „Controlling“, sondern gelebtes Qualitätsmanagement – nah an der Praxis, wirksam im Alltag.

Wie konkret Qualität im Krankenhaus zur Steuerung gemessen werden kann, erfahren Sie im Teil 2 des Blogbeitrags.

Vielleicht wird ein Krankenhaus nie wie ein Automobilwerk funktionieren – aber der Weg zu mehr Klarheit und Sicherheit beginnt mit einem ersten Schritt. 

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