Change Management im Krankenhaus - Die Sicht eines Arztes!

„Das haben wir schon immer so gemacht!“ „Da könnte ja jeder kommen!“ „Wo kämen wir denn da hin?“ Diese Sprüche kommen Ihnen bekannt vor? Lassen Sie mich raten: Sie sind im Krankenhaus beschäftigt!

 

Als Mediziner, der das Stethoskop gegen die Krawatte eingetauscht hat, frage ich mich gelegentlich:
Warum gibt es im „System Krankenhaus“ so große Beharrungskräfte?
Warum zeigt sich in vielen Kliniken eine solche Veränderungsresistenz?
Und warum kann ein externer Berater manchmal Prozesse in Gang bringen, an denen sich die Beteiligten zuvor die Zähne ausgebissen haben?  

Die Antwort scheint auf den ersten Blick simpel:Weil es in Krankenhäusern viel zu selten gelingt, dass sich die Beteiligten berufsgruppen- und fächerübergreifend unvoreingenommen an einen Tisch setzen, um an der Weiterentwicklung der eigenen Klinik zu arbeiten sowie von innen heraus Veränderungsprozesse ins Rollen zu bringen.

In meinen Augen gibt es vier entscheidende Gründe, die dabei eine Rolle spielen:

1. Mangelnde Kommunikation zwischen den Berufsgruppen

Pflege und Ärzteschaft sind in Bezug auf die Patientenversorgung ohne Zweifel die wichtigsten Partner innerhalb einer Klinik. Und ausgerechnet bei der Kommunikation zwischen diesen beiden Berufsgruppen hapert es oft. Bedingt wird dieses Kommunikationsdefizit unter anderem durch unterschiedliche hierarchische Strukturen in beiden Berufsgruppen:  Die Pflegekräfte unterstehen in der Regel der Pflegedienstleitung, während die Ärztinnen und Ärzte der Chefärztin oder dem Chefarzt der Abteilung untergeordnet sind. Und auch bezüglich der Verantwortlichkeiten besteht eine strikte Trennung zwischen Ärzteschaft und Pflege. Dieses schwierige System, dass in Deutschland schon eine lange Tradition hat, hindert Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegerinnen und Pfleger einer Abteilung daran, sich als eine Einheit zu verstehen und gemeinsam an der Weiterentwicklung der Klinik zu arbeiten.

Häufig zeigt sich bei unseren Projekten, dass in Kliniken sowohl die Ärzteschaft als auch die Pflege ihren Arbeitsalltag für sich gesehen zufriedenstellend organisiert hat, aber nebeneinander und nicht miteinander. Der zentrale Anker im Stationsablauf, die gemeinsame Visite, scheitert häufig an fehlenden Absprachen und auf den ersten Blick nicht kompatiblen Tagesabläufen. Entweder ist die ärztliche Früh- oder Röntgen-Besprechung gerade zu der Zeit, zu der die Pflege den morgendlichen Rundgang beendet hat und Zeit für die Visite hätte. Oder die Pflege ist gerade dann mit dem Waschen der Patienten, dem Einsammeln des Frühstücks oder dem Richten der Medikamente beschäftigt, wenn die Ärztinnen oder Ärzte mit ihrer Visite starten. Und auch im Tagesverlauf finden eher zufällig auf dem Flur Absprachen zwischen Pflege und Ärzten statt, aber nicht zu festen Zeiten, z.B. morgens nach ärztlichem Dienstbeginn oder nachmittags vor dem Feierabend. Regelmäßige berufsgruppenübergreifende Teambesprechungen (beispielsweise einmal monatlich) sind in der somatischen Medizin die große Ausnahme und finden, wenn überhaupt, eher auf Stationen mit einem besonderen Schwerpunkt statt, beispielsweise auf Intensiv- oder Palliativstationen.

Der entscheidende Schlüssel für das Gelingen von Veränderungsprozessen in einer Klinik ist der professionelle berufsgruppenübergreifende Umgang miteinander auf Augenhöhe. Nur so kann ein Wir-Gefühl entstehen und gemeinsame eine Weiterentwicklung der Abteilung vorangetrieben werden.

2. Mangelnde Einbindung der Mitarbeitenden in Veränderungsprozesse

In den meisten Kliniken ist das hierarchische System innerhalb der Ärzteschaft noch immer stark ausgeprägt. Das hat im klinischen Alltag durchaus Vorteile. Es gibt in der Medizin eben nicht immer nur schwarz oder weiß, richtig oder falsch, und so ist es bei schwierigen medizinischen Entscheidungen wichtig, das klar festgelegt ist, wer „den Hut aufhat“ und letztlich auch die Verantwortung trägt. Für die Weiterentwicklung einer Abteilung ist diese starre Hierarchie top-down jedoch mit Sicherheit nicht förderlich. Je dominanter der oder die Vorgesetzte auftritt, umso mehr Mut gehört für die Mitarbeitenden dazu, Kritikpunkte innerhalb der Abteilung anzusprechen und auf Verbesserungspotentiale aufmerksam zu machen. Vielen Vorgesetzten ist oft gar nicht bewusst, an welchen Stellen ihren Assistenzärztinnen und Assistenzärzten im Stationsalltag der Schuh drückt und welche Kleinigkeiten einem runden Stationsablauf im Wege stehen.

Bei unseren Projekten, bei denen es beispielsweise um die Entwicklung von Stationskonzepten geht und zu denen immer auch ein fundierte Ist-Analyse vor Ort gehört, erleben wir immer wieder, wie dankbar einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl aus dem ärztlichen Bereich als auch aus der Pflege sind, dass ihre Meinung gehört wird und sie somit aktiv Einfluss auf den Veränderungsprozess nehmen können. Endlich kommen all die Punkte auf den Tisch, über die man sich schon lange geärgert hat, und all die Kleinigkeiten, die den Arbeitsalltag so mühsam machen können. Und häufig sind es überraschend simple Maßnahmen (z.B. verbindliche berufsgruppenübergreifende Absprachen oder einfache EDV-Lösungen), die zu einer deutlichen Arbeitserleichterung führen können.

Ein Veränderungsprozess kann nur dann in Gang kommen, wenn die Klinikleitung ein offenes Ohr für die Vorschläge ihre Mitarbeitenden hat und diese aktiv in die Weiterentwicklung der Klinik einbindet. Denn nichts frustriert mehr, als wenn von oben herab an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden vorbei eine Umstrukturierung diktiert wird und die täglichen Schwierigkeiten im Arbeitsalltag dadurch eher noch verstärkt als gelöst werden.

3. Mangelnder Mut zu Veränderungen

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und Veränderungsprozesse bringen immer auch eine große Unsicherheit. Häufig lähmt die Angst, eigene Einflussmöglichkeiten und Privilegien zu verlieren, die sinnvolle Weiterentwicklung einer Klinik. Besonders augenscheinlich wird diese Problematik bei Projekten, an denen unterschiedliche Fachdisziplinen involviert sind, beispielsweise der Etablierung einer zentralen Aufnahmestation, eines Ambulanzzentrums oder einer zentralen OP-Koordination. Wenn jede Abteilung nur damit beschäftigt ist, das eigene Revier zu verteidigen, dann wird sich nur schwer eine gute gemeinsame Lösung für die gesamte Klink finden lassen. Hier bedarf es dem besonderen Geschick der Geschäftsführung, auf der einen Seite die Dringlichkeit für eine Umstrukturierung bewusst zu machen und gleichzeitig Ängste vor der Veränderung abzubauen. Wichtig ist die frühzeitige Einbindung aller involvierten Fachabteilungen und Berufsgruppen, um möglichst offen und transparent über das geplante Projekt zu informieren. Nur so können Vorbehalte abgebaut und der Entstehung von Gerüchten und Halbwahrheiten über die anstehenden Veränderungen vorgebeugt werden. Den betroffenen Mitarbeitenden muss deutlich werden, dass der Veränderungsprozess durchaus auch die Möglichkeit bietet, Arbeitsabläufe zu vereinfachen und das eigene Arbeitsumfeld aktiv mitzugestalten.

Häufig werden solche Projekte jedoch aus der Not heraus geboren und sind primär getriggert von der Notwendigkeit, in einem bestimmten Bereich die Effizienz zu steigern und Kosten einzusparen. Dieses Ziel ist per se auch nicht falsch, sollte allerdings niemals allein die Motivation zu einer strukturellen Veränderung einer Abteilung sein. Ein Veränderungsprozess sollte immer primär das Ziel verfolgen, die eigenen Strukturen zu überdenken und Abläufe zu vereinfachen, um letztlich die Arbeit zu erleichtern und die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Wenn dabei auch noch Kosten eingespart werden können (was häufig der Fall ist), dann ist das umso besser.

Wenn ein Veränderungsprozess lediglich als erneute Sparmaßnahme der Geschäftsführung verstanden wird, dann wird es nur schwer möglich sein, die Betroffenen für das Projekt zu gewinnen und vorhandene Ängste abzubauen. Nur wenn es gelingt, alle Beteiligten davon zu überzeugen, dass am Ende des Tages für die einzelne Mitarbeiterin und den einzelnen Mitarbeiter, für die Patientinnen und Patienten und letztlich auch für die gesamte Klinik etwas „Besseres“  herauskommt als der Status quo, dann wird man auch auf die notwendige Offenheit in der Belegschaft stoßen.

4. Mangelnde Zeit und personelle Ressourcen

Häufig sind die Betroffenen in den Kliniken so sehr durch das tägliche Routinegeschäft gebunden, dass schlicht keine Zeit bleibt, um sich nebenher auch noch konzeptionell mit der Weiterentwicklung der Abteilung zu beschäftigen. Und oft genug sieht man vor lauter Bäumen den Wald nicht, und es fehlt die notwendige Distanz, um gewohnte Abläufe und Strukturen zu hinterfragen und Alternativen zu entwickeln.

In unseren Projekten erleben wir häufig, dass erst durch die Präsenz eines externen Moderators sowie durch den festen zeitlichen Rahmen der Projektgruppensitzungen ermöglicht wird, dass sich die unterschiedlichen Akteure wirklich an einen Tisch setzen und gemeinsam Gedanken über die Zukunft  der eigenen Klinik machen.  

Nur wenn auch ausreichend zeitliche und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen, kann ein erfolgsversprechender Veränderungsprozess unter Einbeziehung der Mitarbeitenden in Gang gesetzt werden. Wenn eine Klinik vor allem damit beschäftigt ist, denn eigenen Mangel zu verwalten, wird es nur schwer möglich sein, eine Abteilung aus sich heraus neu aufzustellen und weiterzuentwickeln.

Und was ist, wenn sich der Gordische Knoten einfach nicht entwirren lässt? Falls sich interne Schwierigkeiten einer Klinik auch in einer gestiegenen Mitarbeiterfluktuation, in einer zunehmenden Patientenunzufriedenheit oder einer wirtschaftlichen Schieflage widerspiegeln, dann sollte durchaus erwogen werden, sich für einen bestimmten Zeitraum und ein gewisses Projekt externe Hilfe ins Haus zu holen. Auf diese Weise lässt sich gezielt das nötige „Knowhow“ und die nötige „Manpower“ erwerben, um den Knoten zu lösen und die Abteilung unter Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder neu aufzustellen. Denn manchmal ermöglichen erst die professionelle Distanz und der unvoreingenommene Zugang zur Thematik, dass Dinge möglich werden, die vorher aus den altbekannten Gründen unter gar keinen Umständen durchführbar erschienen:

„Das haben wir schon immer so gemacht!“
„Da könnte ja jeder kommen!“
„Wo kämen wir denn da hin?“

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