Cloud im Krankenhaus (Teil 1): Grundlagen, Chancen und erste Weichenstellungen
Beitrag von Lennart Jürgens - Project Manager (16.07.2025)
Die Cloud-Frage kommt nicht mehr irgendwann. Sie ist da.
"Wie können wir in Zukunft mit weniger verfügbaren IT-Ressourcen mehr Sicherheit, mehr Verfügbarkeit und mehr Skalierbarkeit erreichen?" Diese Frage treibt derzeit viele Krankenhäuser und deren IT-Verantwortliche um. Die Antwort liegt für viele nicht mehr in einem Ausbau der lokalen Rechenzentren, sondern in der Cloud. Was in anderen Branchen bereits gelebter Standard ist, steht im Gesundheitswesen vielfach noch am Anfang. Doch der Druck steigt: regulatorische Anforderungen, Fachkräftemangel, steigende IT-Kosten, neue Versorgungsmodelle und der Bedarf nach Integration von ambulanten, stationären und telemedizinischen Elementen steigern die Nachfrage nach IT-Unterstützung und machen Cloud-Technologien zunehmend attraktiv.
In diesem zweiteiligen Blogbeitrag erhalten Sie einen fundierten Einstieg in die Cloud-Thematik. In Teil 1 klären wir die wichtigsten Grundlagen, beleuchten Chancen und zeigen, was heute schon möglich ist. Teil 2 widmet sich dann den strategischen Entscheidungsfeldern, konkreten Risiken, Compliance-Fragen und dem Thema Provider Management.
Was bedeutet „Cloud“ eigentlich im Krankenhauskontext?
Wenn im Krankenhaus über Cloud gesprochen wird, geht es nicht nur um Technik, sondern um ein neues Betriebsmodell für IT – mit Auswirkungen auf Prozesse, Personal, Zuständigkeiten und Sicherheit. Cloud-Lösungen ermöglichen es Kliniken, Ressourcen flexibler zu nutzen, neue Technologien schneller einzuführen und die Zusammenarbeit über Institutionsgrenzen hinweg zu vereinfachen. Dabei ist Cloud nicht gleich Cloud. Im Wesentlichen lassen sich drei Betriebsmodelle unterscheiden:
- Infrastructure as a Service (IaaS): Krankenhäuser mieten Speicher, Rechenleistung und Netzwerkkapazitäten, betreiben ihre Anwendungen jedoch weiterhin selbst.
- Platform as a Service (PaaS): Diese Infrastruktur wird erweitert um Laufzeitumgebungen, Datenbanken oder Middleware, ohne dass sich die Krankenhäuser um die darunterliegende Technik kümmern müssen.
- Software as a Service (SaaS): Anwendungen werden komplett von einem Anbieter betrieben. Das Krankenhaus nutzt die Software lediglich, ohne sich um Updates, Betrieb oder Security sorgen zu müssen.
Welche Variante sinnvoll ist, hängt stark vom jeweiligen Anwendungsfall ab. Gerade im deutschen Gesundheitswesen stellt die Hybrid-Cloud, also eine Mischung aus Cloud- und On-Premise-Lösungen, oftmals die realistischste Option dar.
Cloud-Technologie bietet Vorteile
Die Diskussion über die Cloud ist oft technisch aufgeladen. Dabei lassen sich viele Vorteile auch für Nicht-TechnikerInnen anschaulich machen, insbesondere im klinischen Alltag. Für Krankenhäuser kann Cloud-Technologie zu einer verbesserten Verfügbarkeit und Skalierbarkeit beitragen: Durch den Betrieb in hochverfügbaren, redundanten Rechenzentren ist es möglich, kritische IT-Systeme stabil und ausfallsicher zu betreiben. Rechen- und Speicherressourcen lassen sich flexibel erweitern, wenn beispielsweise kurzfristig neue Bildgebungsdaten, Forschungsdaten oder patientenbezogene Dokumentationen verarbeitet werden müssen. Auch für telemedizinische Angebote – etwa die kontinuierliche Übertragung von Vitaldaten aus dem häuslichen Umfeld – schafft die Cloud eine verlässliche Basis für einen ortsunabhängigen Zugriff und eine ebenso ortsunabhängige Versorgung. In puncto Sicherheit setzen Cloud-Rechenzentren oft neue Standards, etwa durch streng geregelte physische Zutrittskontrollen, moderne Brandschutzsysteme und kontinuierliche Angriffserkennung durch KI-gestützte Sicherheitslösungen. Für IT-Abteilungen in Krankenhäusern bedeutet das: Weniger individuelle Verantwortung für Basisbetrieb und mehr Sicherheit durch zentralisierte, standardisierte Sicherheitsarchitekturen. Die einheitliche Einführung von Software-Patches und Updates reduziert bekannte Schwachstellen systematisch und trägt zu einem stabilen IT-Betrieb bei.
Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive können Krankenhäuser mit der Cloud Effizienzpotenziale erschließen. So entfallen unter Umständen hohe Anfangsinvestitionen in Hardware, während flexible Nutzungsmodelle helfen können, eine Über- oder Unterversorgung zu vermeiden. In vielen Fällen sinken zudem Aufwand und Kosten für die Wartung lokaler Infrastruktur. Auch in der Versorgung selbst kann die Cloud-Technologie positive Effekte entfalten. Neue Systeme lassen sich durch SaaS-Modelle schneller einführen, Updates erfolgen automatisch und ohne Betriebsunterbrechungen. Gleichzeitig wird die Einbindung externer Partner wie Pflegeeinrichtungen, Zuweisende oder PatientInnen erleichtert.
Für die Steuerung der Cloud mit der Implementierung in Prozessen, der Interoperabilität mit den bestehenden IT-Systemen, der Medizintechnik, der Telekommunikation sowie den Anforderungen aus Informations- und IT-Sicherheit ist ein integrativer Ansatz im Krankenhaus zu empfehlen. Ein internes Technologiemanagement hilft diese Aufgaben zu koordinieren und zu überwachen.
Was ist heute schon möglich? Beispiele aus der Praxis
Bereits heute lassen sich zahlreiche Szenarien mit Cloud-Technologie realisieren. So ermöglichen cloudbasierte Datenplattformen eine engere Kooperation zwischen Krankenhäusern und ambulanten Partnern im Rahmen einer kooperativen Versorgung. Auch die digitale Patientenaufklärung kann profitieren: Formulare lassen sich über Webanwendungen erfassen, verschlüsselt speichern und in bestehende IT-Systeme integrieren. Ein weiteres Einsatzfeld ist das sogenannte Desaster Recovery, bei dem Ausweichrechenzentren oder Backup-Dienste in der Cloud für Ausfallsicherheit sorgen können. In der Forschung und Entwicklung wiederum, etwa bei aufwendigen Anwendungen wie der Genom-Analytik, lassen sich durch die flexible Skalierbarkeit der Cloud neue Potenziale heben.
Ein Beispiel liefert das Fachklinikum Mainschleife in Bayern: Als erstes Krankenhaus Deutschlands hat es seine komplette Krankenhaus-IT – inklusive KIS, Archivsystemen und klinischen Workflows – in eine Public Cloud migriert. Der Nutzen ist vielfältig: Über 10 TB Patientendaten werden zentral gespeichert, was eine standortübergreifende und deutlich schnellere Verfügbarkeit ermöglicht. Ein weiteres Praxisbeispiel ist das Universitätsklinikum Jena in Thüringen: Dort wird eine KI-gestützte Spracherkennung für die klinische Dokumentation (etwa Arztbriefe und OP-Berichte) über den Cloud-Service Dragon Medical One eingesetzt. Die Lösung läuft als Software-as-a-Service (SaaS) auf Rechenzentren in Deutschland. Die Erstellung medizinischer Dokumente gelingt deutlich schneller, was Wartezeiten verkürzt und sowohl die Behandlungsqualität als auch den Patientendurchlauf verbessert.
Diese Praxisbeispiele verdeutlichen: Cloud-Technologie ist bereits heute einsatzbereit. Der nächste Schritt besteht darin, geeignete Anwendungsfelder im eigenen Haus zu identifizieren und konkrete Umsetzungsschritte zu planen. Gleichzeitig gilt es, mögliche Schwachstellen frühzeitig zu adressieren – etwa beim Thema Internetverfügbarkeit, Anbieterabhängigkeit oder Anpassungsaufwand durch automatische Updates.
Checkliste für den Einstieg in die Cloud
Wer das Thema in seinem Krankenhaus platzieren will, sollte strukturiert vorgehen. Folgende Fragen helfen beim Einstieg:
- In welches Cloud-Modell kann bzw. soll migriert werden?
- Welche Anwendungen sind heute schon ausgelagert (z. B. Mail, Archiv)?
- Welche Systeme könnten mittelfristig cloudfähig sein?
- Welche regulatorischen Rahmenbedingungen gelten (z. B. KRITIS, NIS2, SGB V)?
- Welche Engpässe liegen beim IT-Personal vor, die die Cloud entlasten könnte?
- Wie sehen unsere aktuellen Sicherheits-, Backup- und Recovery-Prozesse aus?
- Wo entstehen heute Infrastrukturkosten, die durch skalierbare Modelle reduziert werden könnten?
Fazit: Die Cloud ist ein strategisches Werkzeug
Die Cloud ist kein IT-Hype, sondern ein strategischer Enabler für moderne Versorgungsprozesse. Wer die Vorteile nutzen will, muss jedoch seine eigene Situation gut kennen, passende Anwendungsfälle identifizieren und regulatorische Fragen frühzeitig klären.
Teil 2 unseres Beitrags wird unter anderem aufzeigen, wie Sie diese Punkte konkret bewerten und welche strategischen Optionen Ihnen offenstehen. Dabei beleuchten wir auch die Schwächen der Cloud-Nutzung im Gesundheitswesen: Warum Cloud-Technologien trotz ihrer Potenziale in vielen Krankenhäusern bisher nur begrenzt zum Einsatz kommen, welche Hürden bestehen – von unklaren Zuständigkeiten über Compliance-Bedenken bis hin zu ausbaufähigem Fachwissen – und wie diese systematisch adressiert werden können.