Teil 2: Deckungs­beitrags­rechnung im Krankenhaus

Beitrag von Lasse Wissmann – Senior Manager (12.07.2022)

Im ersten Teil der Blogreihe haben wir uns die grundlegende Zielsetzung und den Aufbau der Deckungsbeitragsrechnung angesehen und erörtert, welche Möglichkeiten der (DRG-)Erlösverteilung in Betracht gezogen werden müssen. In diesem Teil tauchen wir nun etwas tiefer ins Detail ein und analysieren die Vernetzung der Fachabteilungen und die Auswirkungen hoher Interdisziplinarität.

 

5    Schnittstellen und Interdisziplinarität – Synergien und Vermischung im Krankenhaus

Den Deckungsbeitrag einzelner Fachabteilungen zu bestimmen, wäre einfach und schnell gemacht – wenn die Fachabteilungen autark arbeiten würden. Die Realität im Krankenhaus sieht aber anders aus: Verlegungen zwischen Fachabteilungen, Konsilleistungen, gemeinsam genutzte Bereiche wie Notaufnahme oder OP-Bereiche und interne Dienstleister wie die Radiologie vernetzen die Abteilungen und machen die Patientenbehandlung interdisziplinär. Beim Aufbau einer Deckungsbeitragsrechnung müssen diese Verknüpfungen zwischen den Abteilungen beachtet werden.

 

5.1    Verlegungen, Konsile und Erlösstrukturen

Viele Fachabteilungen arbeiten in der Patientenbehandlung direkt Hand in Hand. Interne Verlegungen sind in vielen Fächern an der Tagesordnung. Dabei gibt es natürlich Fachrichtungen, die klassischerweise enger miteinander verknüpft sind (z. B. die Kardiologie und die Herzchirurgie oder die Gastroenterologie und die Allgemein- und Viszeralchirurgie). Aber selbst Abteilungen mit wenig Verknüpfungen im Behandlungsalltag, wie z. B. die Gefäßchirurgie, arbeiten nicht im Vakuum. Die Verlegungen und gemeinsamen Behandlungsanteile müssen sich in der Zuordnung der Erlösanteile im DRG System wiederfinden. Eine einfache Zuordnung der Fälle – nach entlassender Fachabteilung oder Länge der Verweildauer – wird der komplexen Realität in der Patientenversorgung nicht gerecht und verfälscht so das wirtschaftliche Ergebnis einer Fachabteilung in der Deckungsbeitragsrechnung.

Für die Zuordnung können unterschiedliche Komplexitätsgrade gewählt werden: Die einfachste Verteilung der DRG-Erlöse orientiert sich an der Entlassung: Alle Erlöse werden derjenigen Fachabteilung zugerechnet, die den Patienten letztlich entlassen hat. Dass dieses Vorgehen die Vernetzungen im Krankenhaus nicht abbildet, ist selbsterklären. Etwas komplexer ist die Orientierung an der Verweildauer der Patienten in unterschiedlichen Fachabteilungen, die allerdings die tatsächlichen Verknüpfungen auch nur unzureichend widerspiegelt. Ein besseres Bild der Realität liefert die Nutzung von objektiven Leistungsschlüsseln wie z. B. OP-Zeiten, Notfallkontakten oder Aufenthaltsstunden auf der Intensivstation. Diese müssen für die einzelnen Kostenstellen der InEK-Verteilung definiert und als Verteilungsschlüssel in die Berechnung integriert werden. Dabei kann die Art und Zahl der Leistungsschlüssel individuell festgelegt werden. Die richtige Balance zwischen (Pseudo-)Genauigkeit, technischem Umsetzungsaufwand und praktischem Nutzen ist entscheidend.

Bei der Definition der Leistungsschlüssel gilt es auch, den Umgang mit internen Konsilen festzulegen. Für einige Fachabteilungen kann dies bei hohem Konsilaufkommen ein bedeutender Kostenfaktor sein, der entsprechend durch die Zurechnung von Erlösanteilen ausgeglichen werden muss.

 

5.2    Kostenstellen und Buchungsqualität

Neben der Vernetzung der Fachabteilungen durch interne Verlegungen und Konsile, gibt es spezifisch interdisziplinär aufgestellte Bereiche, die mehreren Fachabteilungen zugutekommen, aber oftmals nicht vollständig als eigener Bereich abgerechnet und gebucht werden. Zwei Beispiele dafür, die sich in fast allen Krankenhäusern finden, sind eine interdisziplinäre Notaufnahme und der OP. Beide Bereiche werden von mehreren (oder allen) Fachabteilungen des Krankenhauses genutzt und sind somit auch gemeinsame wirtschaftliche Aufgabe aller profitierenden Abteilungen. Üblicherweise werden den Bereichen keine eigenen Erlöse zugerechnet, sondern sie als reines ‚cost center‘ auf die anderen Fachabteilungen verteilt. Hierfür bedarf es – neben einem angemessenen Leistungsschlüssel zur Verteilung wie z. B. OP-Minuten oder Notfallkontakte – auch einer guten Buchungsstruktur. Ein Problem, das ZEQ in vielen Projekten gefunden hat, ist die nicht vollständige Buchung von Kosten auf diese Bereiche. Insbesondere die Personalkosten, die zur Bewältigung der Aufgaben dieser Bereiche notwendig sind, werden häufig nicht spezifisch auf diese Bereiche gebucht: Ärztliche Mitarbeiter rotieren aus den Fachabteilungen in die Notaufnahme, werden für diese Zeit aber nicht umgebucht; Mitarbeitende im Funktionsdienst werden über gemischte Kostenstellen gebucht und sind so nicht klar dem OP zuzuordnen. Das sind nur zwei Beispiele von vielen, denen ZEQ in Projekten bereits begegnet ist. Die Lösung dieser Probleme ist für den Aufbau einer validen Deckungsbeitragsrechnung unumgänglich. Zum Teil erfordern sie aber hohen händischen Aufwand. Per Arbeitsplatzmodell müssen z. B. Personalkosten den Bereichen zugeordnet oder auf Einzelbuchungsbasis Sachkosten verteilt werden. All das ist viel Aufwand, verbessert aber die Güte des Gesamtergebnisses und somit den Wert der Berechnungen für die Praxis. Aufgabe beim Aufbau der Deckungsbeitragsrechnung ist es, diese Probleme in der Zuordnung zu finden und zu definieren, an welchen Stellen eine Abschätzung ausreicht und wo eine detaillierte händische Analyse notwendig ist.

Grundsätzlich gilt: Je detallierter und zuverlässiger die Kostenstellenzuordnung und je höher die die Zuverlässigkeit und Qualität der Kosten- und Erlösbuchungen, desto weniger individuelle Anpassungen sind für die Etablierung einer Deckungsbeitragsrechnung notwendig. Ein Projekt zur Einführung einer Deckungsbeitragsrechnung sollte auch immer als Chance begriffen werden, die Kostenstellen- und Buchungsstrukturen des Krankenhauses zu hinterfragen und zu verbessern.

 

5.3    Interne Dienstleister und interne Leistungsverrechnung (ILV)

Die Patientenbehandlung im Krankenhaus funktioniert nur dank der übergreifend arbeitenden internen Dienstleister. Ohne Bereiche wie die Radiologie, das Labor, die Physiotherapie oder die Anästhesie, die fachabteilungsübergreifend ihre Aufgaben bewältigen, wäre die Versorgung nicht zu gewährleisten.

In einer Deckungsbeitragsrechnungsstruktur lassen sich auch diese Dienstleister wirtschaftlich abbilden: Entweder in Form einer eigenen Berechnung oder als Teil der Berechnung der verschiedenen Fachabteilungen als ILV-Dienst. Dies ist vor allem eine Frage der Steuerung. Möchte ich die Dienstleister als eigene Fachabteilung betrachten und ihnen somit auch die volle wirtschaftliche Verantwortung für ihre Fachabteilungen zurechnen, dann ist eine eigene Deckungsbeitragsrechnung angemessen. Betrachte ich diese Dienstleister als strategische Ressource des Gesamthauses, die durch die verschiedenen Fachabteilungen getragen werden soll, ist die Integration in die Deckungsbeitragsrechnungen der Fachabteilungen eher die richtige Lösung. Für beide Varianten gibt es gute Argumente, so dass es eine Ideallösung für diese Frage nicht gibt.

Beim Aufbau einer Kostenartenstruktur nach Ist-Kosten-Verteilung können beliebig viele ILV-Dienste eingearbeitet werden. Die InEK-Struktur schränkt diese Auswahl etwas ein: Hier sind Anästhesie, Labor und Radiologie als eigene ILV-Dienste definierbar; weitere interne Dienstleister wie die Physiotherapie lassen sich in der InEK-Kostenverteilung nicht eindeutig berechnen.

 

6    Umgang mit der Infrastruktur

Fachabteilungen arbeiten in den Rahmenbedingungen, die ihnen im Krankenhaus zur Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug finanziert ihre Arbeit auch die Infrastruktur des Krankenhauses mit. Für die Deckungsbeitragsrechnung gilt es die Frage zu beantworten, welche Beziehung die Fachabteilung und die Infrastruktur des Krankenhauses wirtschaftlich haben und welche Steuerungsmöglichkeiten die Verantwortlichen der einzelnen Abteilungen wahrnehmen können.

Die Infrastruktur muss zwar durch Erlösanteile der Fachabteilungen refinanziert werden, auf ihre Ausrichtung und Ausstattung haben die Abteilungen selbst aber kaum Einfluss. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, die Infrastrukturkosten und -erlösanteile nicht in die Deckungsbeitragsrechnungen der einzelnen Fachabteilungen aufzunehmen. Für die Führungskräfte dieser Fachabteilungen gibt es kaum Möglichkeiten, eine Unterfinanzierung in den Kostenarten der Infrastruktur zu verändern, außer durch eine Leistungssteigerung. Deren Notwendigkeit zeigt sich aber immer dann auch in den anderen Kostenarten, wenn sie auf tatsächlich zu niedrige Leistungen und nicht auf potenziell zu hohe Kosten in der Infrastruktur (z. B. durch eine sehr gute Ausstattung in der Verwaltung) zurückzuführen sind. Die Refinanzierung der Infrastruktur in den Deckungsbeitragsrechnungen darzustellen, bringt so wenig Steuerungsgewinn, dafür aber umso mehr Konfliktpotenzial bei der Interpretation der Ergebnisse und der Formulierung von Handlungsbedarfen mit sich (Aus der Praxis: „Mit meiner Abteilung finanziere ich mit, dass die vielen Mitarbeitenden in der Verwaltung nur Däumchen drehen!“). Wichtig ist: Wenn keine Infrastrukturkosten zugeordnet werden, müssen auch entsprechende Erlösanteile abgezogen werden – auch hier steckt der Teufel im Detail. Ob und auf welche Weise die Infrastrukturkosten und -refinanzierungsanteile verrechnet werden sollen, ist eine Frage, die im Hinblick auf (Daten-)Möglichkeiten und Zielsetzung im jeweiligen Krankenhaus individuell beantwortet werden muss.

 

7    Fazit

Die Deckungsbeitragsrechnung ist ein wichtiges und mächtiges Instrument der (wirtschaftlichen) Unternehmenssteuerung und kann ein hilfreiches Tool für die Führungskräfte der Fachabteilungen sein. Der Aufbau der Rechnung ist aber nicht so simpel, wie es im ersten Moment erscheinen mag – es bedarf einiger Erfahrung und eines guten Auges für die Details, um valide und praxistaugliche Ergebnisse zu erarbeiten. Einfache und schnelle Lösungen bringen oft trügerische und falsche Ergebnisse mit sich. Der Versuchung, auf die Schnelle eine Deckungsbeitragsrechnung aufzubauen, sollte widerstanden werden. Ein Deckungsbeitragsprojekt ist nicht einfach und benötigt angemessene Ressourcen. Auch in diesem Blog wurden nur einige zentrale Fragestellungen angerissen. Insbesondere bei der (korrekten und validen) Kostenzuordnung und (ggf.) -verteilung gibt es viele Hindernisse, die bei dem Aufbau einer Deckungsbeitragsrechnung beachtet werden müssen.

Ein solches Projekt ist aber auch eine Chance für das Krankenhaus, seine Kostenstellen- und Buchungsstrukturen, die oft über Jahre gewachsen und nicht immer ideal aufgestellt sind, kritisch zu hinterfragen und zu verbessern. Aus ZEQ-Sicht bringt die klassische Deckungsbeitragsstruktur für moderne Krankenhäuser nur wenig Nutzen. Wir empfehlen daher eine nach Kostenarten strukturierte und an der InEK-Verteilung ausgerichtetes Verfahren: Der Aufwand eines solchen Projekts wird durch den hohen Nutzen für die wirtschaftliche Ausrichtung der Fachabteilungen des Krankenhauses rechtfertigt.

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