Ist die Akademisierung der Pflege in Deutschland gescheitert?

Beitrag von Ingolf Drube - Senior Consultant (13.06.2025)

Die Akademisierung der Pflege galt in Deutschland lange als zukunftsweisender Schritt zur Professionalisierung des Berufsstandes. Ziel war es, Pflegefachkräfte durch ein Studium wissenschaftlich fundierter auszubilden und ihnen neue Karrierewege sowie mehr Verantwortung – insbesondere in der direkten Versorgung – zu eröffnen. Während andere Länder wie die USA oder die Niederlande diesen Weg erfolgreich gegangen sind, zeigt sich in Deutschland ein durchwachsenes Bild.

Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Akademisierung der Pflege

Um die Akademisierung voranzubringen, empfiehlt der Wissenschaftsrat folgendes Vorgehen:

  • mindestens 10–20 % akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte im Gesamtberufsfeld,
  • neue Berufsperspektiven – besonders in der direkten Patientenversorgung,
  • monetäre Anreize für akademische Laufbahnen.

Potenziale der Akademisierung

Der Einsatz akademisch qualifizierter Pflegefachkräfte kann:

  • evidenzbasierte Pflege fördern,
  • die Berufsattraktivität steigern,
  • die interdisziplinäre Zusammenarbeit verbessern und
  • ÄrztInnen durch Aufgabenübernahme entlasten.

Doch diese Vorteile zeigen sich in Deutschland nur in geringem Umfang. Stattdessen kämpft das Modell mit den im Folgenden dargestellten strukturellen Problemen.

Was bremst die Umsetzung aus?

1. Fehlende Akzeptanz:

In vielen Einrichtungen ist die Rolle akademisch qualifizierter Pflegefachkräfte unklar. Statt sie gezielt einzusetzen, werden sie häufig wie konventionell ausgebildete Pflegefachkräfte behandelt, was dem Potenzial ihrer Qualifikation nicht gerecht wird.

2. Unklare Berufsprofile:

Im Gegensatz zu anderen Ländern fehlt es an klaren Zuständigkeiten und Karrieremodellen. Das erschwert die Integration in die Praxis und hemmt die berufliche Entwicklung. Häufig findet man akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte in Deutschland ausschließlich in Leitungs- oder Stabstellenpositionen, fernab von der direkten Patientenversorgung.

3. Wenige finanzielle Anreize:

Trotz höherer Qualifikation erhalten akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte oft nur eine geringfügig höhere Vergütung. Dadurch sinkt die Attraktivität eines Pflegestudiums erheblich.

4. Theorie-Praxis-Schere:

Akademisches Wissen findet im Berufsalltag zu wenig Anwendung. Es fehlt an Konzepten, die eine sinnvolle Verzahnung von Theorie und Praxis ermöglichen.

Ein Lichtblick: Erfolgsmodell aus Rheinland-Pfalz

Das Gesundheitszentrum Glantal im Landeskrankenhaus Rheinland-Pfalz zeigt, dass Akademisierung in der Pflege erfolgreich sein kann. Dort wurden klare Rollenprofile entwickelt und akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen systematisch in alle Versorgungsbereiche integriert. Bereits ein Jahr nach der Einführung lag die Akademisierungsquote in der Pflege bei über 10 % (2017).

Durch enge Kooperationen mit Hochschulen, interne Qualifizierungsprogramme und gezielte Öffentlichkeitsarbeit – unter anderem Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, zwei internationale Pflegekongresse sowie SWR-Fernseh-Dokumentationen – wurde das Konzept bundesweit bekannt. 

Die Geschäftsführung unterstützte die Entwicklung und ließ ein unternehmensweites Konzept zur Einbindung akademisch qualifizierter Pflegefachpersonen in die direkte Patientenversorgung erarbeiten und forderte die Anwendung ein.

Aktive Beteiligung an der akademischen Lehre

Darüber hinaus engagierten sich die akademischen Pflegefachkräfte des Gesundheitszentrums Glantal auch in der Hochschul-Lehre: Sie übernahmen Lehraufträge an der Katholischen Hochschule Mainz im Masterstudiengang „Management pflegerischer Bedarfe und Leistungen einschließlich QM-Krankenhaus“. An der Universität Trier hielten sie Vorlesungen zu den Themen „Clinical Leadership“ und „Changemanagement“. Auch im dualen Studiengang Pflege waren die akademischen Pflegekräfte aktiv in der Lehre eingebunden.

Erlös- und Qualitätssicherung

Der Einsatz akademisch qualifizierter Pflegefachkräfte führte im Gesundheitszentrum Glantal bereits in den ersten Jahren zu einer deutlichen Erlössicherung. Durchgeführte Studien und daraus abgeleitete interprofessionelle Maßnahmen verbesserten zudem die Versorgungsqualität.

Dennoch gab es auch Herausforderungen zu meistern: 

  • In den Pflegeteams herrschte Skepsis gegenüber dem neuen Konzept,
  • außerdem entstanden Konflikte mit anderen Berufsgruppen.

Noch nicht gescheitert – aber ausgebremst

Die Akademisierung der Pflege ist in Deutschland nicht gescheitert, sondern befindet sich in einem schwierigen Umsetzungsprozess. Ohne Akzeptanz, klare Strukturen und angemessene Vergütung bleiben viele Potenziale ungenutzt. Doch positive Beispiele wie in Rheinland-Pfalz zeigen, dass es möglich ist, akademisch ausgebildete Pflegefachkräfte gewinnbringend in die Versorgung zu integrieren – mit Mehrwert für PatientInnen, Pflegefachkräfte und Einrichtungen gleichermaßen.

Einrichtungen, die akademische Pflege gezielt fördern, können nicht nur die Versorgungsqualität steigern, sondern sich auch als innovative Arbeitgeber positionieren und im Gesundheitsmarkt Wettbewerbsvorteile sichern.

Sie möchten von der Integration akademisch qualifizierter Pflegefachkräfte in die Versorgungsprozesse profitieren? 

Wir unterstützen Sie gerne bei der passgenauen Entwicklung und Umsetzung von Konzepten. Sprechen Sie uns an!

 

 

Literatur

Drube, Ingolf (2018). Von der Idee zur Realität: Die Integration akademisch ausgebildeter Pflegekräfte in die direkte Patientenversorgung, KU Gesundheitsmanagement 8/2018, S. 41-44.

Drube, Ingolf (2019). Den Change-Prozess gestalten und erleben: Die Integration akademisch ausgebildeter Pflegekräfte in die direkte Patientenversorgung, KU Gesundheitsmanagement 3/2019, S. 4-6.

Wegner, Yvonne (2019). Pflegeexperten: Ein Konzept zur Implementierung hochschulisch ausgebildeter Pflegekräften in der Pflegepraxis.

 

 

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