Warum generationengerechte Führung für mich keinen Sinn macht
Beitrag von Dr. Christian Bamberg - Vorstand (14.08.2025)
Die Soziologie definiert etwa alle 14-15 Jahre eine neue Generation – beginnend mit der Generation Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg spannt sich der Bogen über die (Baby-)Boomer, die Gen X (auch Generation „Golf“ genannt), die Gen Y (auch Gen „Why?“ oder Millennials genannt) und die Gen Z („Digital Natives“) bis aktuell zur Gen Alpha. Die Idee dahinter: Auf Basis gemeinsam erlebter Ereignisse entwickeln sich innerhalb einer Generation ähnliche Werte – insbesondere auch, was die Einstellung zur Arbeit und Führung betrifft. Das Internet ist voll von tabellarischen Übersichten, die die Unterscheidungsmerkmale der Generationen sauber abgegrenzt gegenüberstellen. Meist sind die Merkmale so formuliert, dass man als Leser diese mit einem amüsierten Lächeln, verklärten Kopfnicken oder wehmütiger Erinnerung quittiert („Früher hieß Twix Raider“ – wir als Boomer erinnern uns gern!). So weit so gut.
Seit einigen Jahren ist das Thema generationengerechte Führung ebenfalls in den Fokus gerückt. Viele Konfliktpotenziale in altersgemischten Teams werden auf Kultur- und Werteunterschiede zurückgeführt und damit zu sogenannten Generationenkonflikten erklärt. Es liegt daher nahe anzunehmen, dass unterschiedliche Generationen auch unterschiedliche Führungsstile erfordern. Damit war die Idee der „Generationengerechten Führung“ geboren. Die Schlussfolgerung aus der soziokulturellen Betrachtung der Generationen fällt – oberflächlich betrachtet – einfach aus: Generationengerechtes Führen ist nur eine Frage der jeweils passenden „Bedienungsanleitung“? Aber Achtung: Schablonendenken fördert (hartnäckige) VorURTEILe!
Versuch einer Gegenrede und Plädoyer für ein neugieriges Kennenlernen
Mir als Führungskräftetrainer und Führungskraft im eigenen Unternehmen erschien das Generationen-Modell zunächst als einleuchtend und (verführerisch) einfach. Je mehr ich mich allerdings damit auseinandersetzte, desto modellhaft abstrakter und weniger wirklichkeitsnah wurde es. Ich entdeckte viele Widersprüchlichkeiten. Einige davon sind:
- Die Brüche in der Biographie zwischen den in der Bundesrepublik bzw. in der DDR sozialisierten Menschen der Generation Boomer bleiben weitgehend unberücksichtigt – die verbindenden, prägenden Ereignisse (z. B. Mondlandung, Ölkrise, Waldsterben oder atomares Wettrüsten im Kalten Krieg) werden durch die Brille der „Wessis“ betrachtet.
- Die Generation Z ist nicht deshalb besonders stark von den Auswirkungen von Corona geprägt, weil sie die Generation Z ist, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil es sich um junge Menschen handelt, deren individueller Lebensentwurf und deren eigene Lebensführung noch wesentlich stärker eingeschränkt wurden als bei Menschen der Generation X oder den Boomern. Allen gemeinsam ist das bleibende Gefühl von Verunsicherung, das damals seinen Anfang nahm und sich heute angesichts der rasch aufeinanderfolgenden Krisen und Veränderungen in der Welt bei vielen generationenübergreifend manifestiert.
- Führungskräfte im Krankenhaus überspannen heute auch mehrere Generationen (Boomer bis Gen Y, teilweise schon Gen Z) – dabei stehen sie zusätzlich vor der Herausforderung, sehr unterschiedlich sozialisierte Gruppen von Mitarbeitenden zu einem guten Miteinander bringen zu müssen. Diese Diversität lässt sich kaum mit einfachen Schablonen oder Standard-Führungsstilen managen.
- Beginnend schon mit der Generation Y wird insbesondere die Generation Z „angeklagt“, dass sie nicht mehr so viel arbeiten möchte. Blöd nur: Eine Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2024 ergab, dass die Gen Z in Deutschland mehr arbeitet als junge Leute jemals zuvor. Und etwas provokant formuliert: die Boomer werden einmal als die Generation in die Geschichtsbücher eingehen, die mit der kürzesten Lebensarbeitszeit und der höchsten Teilzeitquote am frühesten in die Rente eingetreten ist – der Begriff „Frührente“ wird den Generationen X, Y und Z wohl schon bald fremd sein.
Über die von mir wahrgenommenen Widersprüchlichkeiten hinaus, stimmen aber auch einige Grundannahmen des Generationen-Modells so nicht. Lassen wir also mal Fakten aus der Empirie sprechen:
- Menschen unterscheiden sich in ihren Werten, Einstellungen und Haltungen grundlegend, auch wenn sie derselben Generation angehören.
- Ebenso können Menschen in ihren Werten weitgehend übereinstimmen, auch wenn sie verschiedenen Generationen angehören.
- Präferenzen leiten sich vorrangig aus der persönlichen Situation ab, nicht aus dem Geburtsjahr.
- Einstellungen lassen sich mit Alter und Befragungszeitpunkt erklären – nicht mit der Generationenzugehörigkeit.
- „Die jungen Leute wollen nicht mehr arbeiten!“. Der Eindruck muss nicht falsch sein, er hat nur nichts mit einer bestimmten Generation zu tun. Jüngere Menschen wollten schon immer weniger arbeiten – und alle Generationen halten Erwerbsarbeit heute für weniger wichtig als früher.
- Und nicht zuletzt: Das menschliche Gehirn liebt Gruppierungen. Diese führen aber schnell zu Auf- oder Abwertungen.
Persönlich gefragt: Worum geht es wirklich?
Ja, Mitarbeitende der Generationen Y und Z fordern mich als Boomer heraus, etwa mit ihrer Arbeitseinstellung oder auch Themen wie Elternzeit (die es früher, als meine Kinder klein waren, so schlicht nicht gab). Aber Hand aufs Herz: Rührt meine Skepsis nicht daher, dass diese Mitarbeitenden heute einfach selbstverständlich einfordern, was ich mir früher auch sehnlich gewünscht, aber nie zugestanden habe? Und ist dieser Austausch nicht die Chance, dass beide Seiten sich ein Stück weit verändern und aufeinander zubewegen?
Führung heißt: individuelle Beziehungen – keine Bedienungsanleitungen
Statt generationengerechtes Führen über stereotype Bedienungsanleitungen zu erlernen, braucht es aus meiner Sicht etwas anderes: eine wirksame Führungskraft, die im Team gemeinsam – über Generationen hinweg – neue Antworten auf neue Fragen findet. Führungskräfte sollten das jeweilige Interesse aneinander und die Neugierde auf das wechselseitige Kennenlernen im Team wecken. Im Mittelpunkt steht dabei das Individuum und nicht das Kollektiv einer Generation. Und das verbunden mit einer Kultur der Wertschätzung und einem Fokus auf die Stärken und Chancen, die generationenübergreifenden Teams innewohnen. Führungskräfte können hierzu Instrumente einsetzen, die sich in altersgemischten Teams bewährt haben.
Ein Werkzeug, das verbindet: Mentoring und Reverse Mentoring
Ein wirkungsvolles Instrument in altersgemischten Teams ist das Mentoring. Es verbindet erfahrene Mitarbeitende (MentorInnen) mit jüngeren KollegInnen (Mentees) zur gezielten Förderung. Das Reverse Mentoring kehrt die Rollen um: Jüngere coachen Ältere – etwa in digitalen Themen oder neuen Arbeitsmethoden. So entsteht echter Austausch – jenseits von Generationenklischees.
Mein Fazit zu generationengerechter Führung
Generationengerechte Führung ist gut gemeint, aber selten gut gemacht. Viel wirksamer ist eine Führung, die auf Interesse, Beziehung und Lernen setzt – individuell, ehrlich und dialogisch.